Der Trading-Robot kapituliert – Was lief schief?

Mechanisches System versus diskretionäre Entscheidungen: Eins zu Null für den Vollblut- Trader!

Mitte April startete mein Anti-Test.

Die Abonennten des CoinFlip Trading Newsletter verfolgten das Experiment exklusiv in erster Reihe.

Nach 102 Trades musste ich das Gegenexperiment zu meinem ersten CoinFlip Test jetzt beenden.

Wieso?

Nun ja, der ‘Trading-Robot’ war stets bemüht und freundlich…mehr aber auch nicht.

Seine Performance: Eine einzige Entäuschung. Bei Minus 50 Prozent lag die Schwelle zum Game Over und diese wurde jetzt von 7 der 9 Exit-Varianten gerissen.

Die beiden verbleibenden Exits sind zwar noch nicht in diesem Bereich angekommen, aber auch hier deutet sich ein negativer Erwartungswert an. Daher mache ich mir die Mühe nicht, diese weiter zu dokumentieren.

Die Tradestatistik: Ein echtes Gemezel für das Tradingkonto!

Hier die wichtigsten Zahlen zum Test:

Exit Variante und RenditeTrefferquote
Platz 2 0,5r Rendite: -35,26,%Winner: 57 out of 102 (~56%)
Platz 6 1r Rendite: -50,47%Winner 22 out of 66 Game Over (~33%)
Platz 4 1,5rRendite: -50,54%Winner: 33 out of 101Game Over (~33%)
Platz 9 2r Rendite: -51,21 %Winner 14 out of 59 Game Over (~24%)
Platz 8 2r Trail Rendite: 51,60% Winner 10 out of 63 GameOver (~16%)
Platz 1 1h Rendite: -20,46%Winner: 43 out of 102 (~42%)
Platz 3 3h Rendite: -50,29%Winner: 36 out of 102 Game Over (~36%)
Platz 7 10h Rendite: 50,04 % Winner 14 out of 65 Game Over (~22%)
Platz 5 10h Trail Rendite: -50,15%Winner 10 out of 69 Game Over (~14%)

Keiner konnte vorhersagen, welcher Exit das Rennen machen würde

Noch einmal: Die Ausgangsbedingungen für diesen zweiten Test eines Zufallseinstiegs beim Trading, waren exakt die selben, wie bei meinem ersten Experiment. Der Unterschied bestand nur darin, dass beim Anti-Test der Exit mechanisch und immer gleich durchgeführt wurde. In Verbindung mit dem exakt definierten Einstieg (Trading-Setup)und klaren Money-Management-Regeln, kann hier also von einem – wenn auch einfachen – mechanischen Trading-System gesprochen werden.

Weder ich, noch meine Blogleser, konnten das Abschneiden der einzelnen Exits voraussagen. Ich habe dem 1R sowie dem 10h Trail Exit die besten Chancen eingeräumt. Von einem anderen Leser wurde die 2r Variante als aussichtsreichste vorgeschlagen. Gewonnen hat am Ende jedoch die 1h Exit-Strategie.

Allerdings hatte ich vor dem Start des Tests Zweifel durchblicken lassen, ob überhaupt Gewinne eingefahren werden können. Bei dieser Einschätzung wurde ich auf ganzer Linie bestätigt.

Die 10h Varianten haben mich entäuscht

Dennoch muss ich sagen: Das schlechte Abschneiden – vor allem der 10h Varianten – hat mich etwas überrascht und entäuscht. Warum?

Bei dieser Variante ist die Goldene Trading-Regel ‘Gewinne laufen lassen und Verluste klein halten’ im Regelwerk eindeutig berücksichtigt worden. Nicht technisch vollends ausgereizt, ok, aber das Grundprinzip war gut implementiert.

Wie ist das schlechte Ergebnis zu erklären? Gar nicht so einfach…

Fakt ist: Die Trefferquote ist mit 22 bzw sogar nur 14% bei der Trail Version sehr niedrig. Es muss aber dazu gesagt werden, die Trefferquote der Trailvariante hätte höher ausfallen können, wenn die guten Trades bei plus einem Tick abgesichert worden wären und nicht an b/e. In diesem Szenario betrüge die Hit Rate immerhin noch rund 33%. Der durschnittliche Gewinn der beiden Varianten beträgt 91,2 Ticks beim Trail respektive 71,9 Ticks ohne Trail. Der durschnittliche Verlust ohne Trail ist 37,8 Ticks und mit Trail 33,53. Aus diesen Zahlen ergibt sich eine Win to Loss Ration von 2,72 beim Trail und rund 1,9 ohne Trail.

Die beiden Kennzahlen sehen gesund aus. Aber welcher Profit Factor errechnet sich daraus?

Für die jeweiligen Varianten ergeben sich Werte von 0,44 für den Trail Exit und etwa 0,54 für den einfachen 10h Exit. Im Klartext heisst das: Trotz guter Werte bei der Win to Loss Ratio, sind beide 10h Exits nicht profitabel. Im Gegenteil, sie vernichten sogar ordentlich Geld, denn erst bei einem Wert von 1 wird das System anfangen Geld zu gewinnen.

Der Haken bei dieser Betrachtungsweise: Der Profit Factor gilt nur für die bis zu dem Zeitpunkt der Berechnung getätigten Trades. Du weisst also nicht sicher, ob sich dieser Wert sehr langfristig nicht doch noch deutlich verbessern würde. Genau aus diesem Grund habe ich zusätzlich die Draw Down Schwelle von 50% als Maßstab für die praktische Umsetzbarkeit eines Trading-Ansatzes in die Bewertung mit einbezogen. Kaum ein Trader würde es im Echtgeldhandel mit einem 20k Konto aushalten, so hohe Verluste problemlos wegzustecken, und sich dann erfolgreich aus dem tiefen Loch herausarbeiten.

Jetzt ist aber leider meine Ausgangsfrage nach dem Grund für die schlechte Performance der 10h Exits noch nicht wirklich beantwortet.

Hier einige Charts zum Anti-Test, damit du als Leser auch mal etwas Visuelles zum Nachvollziehen an der Hand hast:

Wunden lecken und Spurensuche

Es gibt vier Ansatzpunkte zum miesen Abschneiden der 10h Exits:

  • Die Gewinne wurden nicht groß genug gemacht!
  • Die durschnittlichen Verluste sind zu groß ausgefallen!
  • Beim Werfen der Münze, war dem Test das Glück nicht hold!
  • Der ISL war zu klein!

Durch Teilexits im Verlust konnte ich beim ersten Experiment die durschnittlichen Verluste klar unter -1r halten. Dadurch mussten die Gewinner nicht zu groß gemacht werden, um profitabel zu traden. Diese Tatsache fällt beim Durchgehen der Statistik meines ersten Tests auf, denn nur wenige Trades wurden über den frühen Nachmittag hinaus gehalten.

Beim Anti-Test hingegen war ein Verlierer in der Regel immer 1r groß. Alleine schon aus diesem Grund musste ich dieses Mal versuchen, die Gewinner tendenziell größer zu machen, weil ich bei einem Zufallseinstieg nicht mit einem echten Richtungsvorteil beim Entry rechnen kann. Eine Tradedauer von zehn Stunden ist dafür zeitlich eigentlich ausreichend. Der Bund hat in dieser Zeitspanne – an den meisten Tagen – seine Hauptbewegung bereits absolviert. Trotzdem schaffte es der 10h Exit nur ganze fünf ordentliche Plustrades einzusacken (mindestens das Anfangsrisiko). Bei 65 Versuchen ist das eine sehr niedrige Ausbeute. Die echte Auszahlungsquote – nicht die Trefferquote – dieser Exitstrategie lag damit bei gut 7,5%!

Diese Zahlen besagen, dass die durchschnittlichen Gewinne in etwa das 12,5 fache des Anfangsrisikos erreichen müssten, damit die Strategie profitabel wäre (vorausgesetzt die Quote bliebe in etwa gleich – sicher ist das nicht, siehe die Gefahr Chance-Risiko-Verhältnis). Das gehandelte R Vielfache von 1,9 ist von diesem Wert weit entfernt.

Klar ist: Gewinne dieser Größenordnung, werden bei einem 20 Punkte ISL nur erreicht, indem ein Trade über mehr als einen Handelstag gehalten wird.

Selbst, wenn du eine gute Eröffnungsstrategie tradest…

Die einfache Breakeven Trailversion konnte da keine Abhilfe schaffen.

Es wird daran auch deutlich, wie selten ein Markt über den gesamten Tageszeitraum eine einmal eingeschlagene Richtung beibehalten kann, sodass ein Trade Stunde um Stunde mehr Gewinne akkumulieren könnte. Solche Tage werden als starke Trendtage bezeichnet, sie stellen aber die Ausnahme dar, nicht die Regel. Bedenke das bei deiner Strategieplanung als Day Trader!

Zur Wahrheit gehört auch: Es gab nicht wenige Tage, da hätte eine umgekehrte Traderichtung zu richtig fetten Gewinnen geführt. Der 20 Punkte ISL war also ausreichend groß. Was mich nicht überrascht, denn der Bund-Future weist eine ziemlich konstante Volatilität auf.

Der Testsieger ist der 1h Exit

Beim Testsieger 1h Exit fällt auf, dieser hat eine deutlich bessere Trefferquote. Sie liegt über 42%. Ebenso springen die durschnittlichen Verluste ins Auge, da sie unter -1r liegen.  Die Win to Loss liegt bei diesem Exit bei 1,19. Grundsätzlich sind diese Zahlen ausreichend, um langfristig Gewinne zu machen. Dummerweise begrenzt diese Exit-Variante die Gewinne ähnlich gut, wie die Verluste. Die Trefferquote muss hier über 50% liegen, sonst wird es schwierig mit der Profitabilität, denn auch die Kosten sind zu berücksichtigen. Genau deshalb kann in diesem Zusammenhang auch nicht von einem echten Testsieger gesprochen werden. Es ist nur die Variante mit dem am wenigsten schlechten Profit Factor. Dieser liegt bei 0,86 und signalisiert – wie bei allen anderen Exit-Varianten – das auch diese Variante Geld verliert.

Mein Gesamtfazit zum Anti-Test

Mir war – aus meiner täglichen Erfahrung mit den Märkten – im Vorhinein klar, wie schwer es werden würde, mit einem immer gleichen mechanischen Exit, Gewinne aus dem Markt zu ziehen. Selbst dann, wenn aus der ergiebigen Eröffnungsphase heraus getradet wird. Beim Potential des 10h Exits habe ich mich aber durchaus getäuscht. Ein größerer ISL ist wohl keine Alternative, da sich die durschnittlichen Verluste deutlich erhöhen würden, aber die Gewinne im Verhältnis zu den Verlusten sogar noch niedriger wären. Beim Durchsehen der Charts habe ich ein ISL von 40 Punkten grob nachvollzogen und im Ergebnis hätte sich fast nichts geändert (ca. +20 Ticks besser).

Die Gretchenfrage lautet: Was habe ich beim diskretionären und sehr flexiblen Trading, während des ersten Experimentes, anders gemacht?

Die Zahlen zeigen, meine Gewinne waren damals – im Verhältnis zum Anfangsrisiko – nicht extrem groß. Ich habe also mitnichten die Gewinne länger laufen lassen, als es der 10h Exit getan hat. Auf der anderen Seite habe ich aber auch größere Gewinne produziert, als die 0,5r sowie 1h Exits des Anti-Tests. Die Trefferquote damals immerhin fast bei 50%. Interessant wäre es nun zu wissen, ob da auch das Marktumfeld mit verantwortlich für war, oder sogar das Glück beim Münzwurf eine Rolle gepielt haben könnte. Hier müsste ich ausgiebigeres Resarch betreiben, um eine seriöse Antwort zu erhalten.

Es scheint aber zwei Möglichkeiten zur Profitabilität zu geben:

  1. Kleinere Verluste und tendenziell schnellere Gewinnmitnahmen machen oder
  2. die durschnittlichen Gewinne deutlich höher schrauben.

Übrigens: Es gab einen Grund, warum ich den 3h Exit getestet habe: Der Bund neigt dazu, bis zum Mittag eine Richtung einzuschlagen und sich dann ‘festzufahren’ oder sogar die Richtung mehr oder weniger stark zu drehen. Immerhin kam diese Variante dann auch auf’s ‘Treppchen’.

In einem Kommentar zum Anti-Test hat ein Blogleser seine Ansicht dargelegt:

Wie du ja selber sagst: Der zufällige Einstieg und das Erreichen von 1 R sollte auf lange Sicht plus/minus Null generieren und damit einen negativen Ertrag in Höhe der Tradekosten erzeugen.

Es zeigt sich bei der Betrachtung beider Tests:
a) der Einstieg kann zufällig sein (besser wäre ein Einstieg, der -wodurch auch immer- einen statistischen Vorteil hat)
b) entscheidend ist das Erreichen von Monstergewinnen, denn jedes fixe R-Ratio wird ohne einen statistisch belegten Vorteil im Einstieg zu plus/Minus Null führen.
Diese Monstergewinne können nur dadurch erreicht werden, dass die Position laufen gelassen wird, demnach müsste der 10hrs Ausstieg der profitabelste sein.

Blogleser Mark

Nun ja, um die These des 1R Exits zu belegen, müsste der Test weiterlaufen. Ich denke, durch die Einfachheit der Bedingungen, könnte dies in einem Backtest effektiver untersucht werden. Bei der Einschätzung zum 10h Exit, habe ich ebenfalls eine ähnliche Meinung wie der Leser. Da mir diese Variante insgesamt interessanter erscheint, lege ich dazu eventuell einen weiteren Live-Test auf.

Schlussglocke

Was du auf alle Fälle aus dem Anti-Test mitnehmen kannst: Einfach einem Trade mehr Raum zu geben, bedeutet nicht zwangsläufig, bessere Renditen einfahren zu können. Selbst wenn du für eine strikte Begrenzung deines Anfangsrisikos sorgst. Begrenzt du dagegen deine Gewinne von vornherein deutlich, bist du auf eine Auszahlungsquote über dem Zufall angewiesen. Dafür benötitigst du einen echten Richtungsvorteil mit deinem Trading-Setup, zu dem auch ein passender Anfangsstop gehört. Im Test erzielte der Exit mit dem kleinsten Gewinnziel auch die höchste Trefferquote, was zu erwarten war. Sie lag mit 56% klar über dem Zufall. Nur, profitabel ist der 0,5r Exit dadurch immer noch nicht geworden, weil diese Quote künstlich erkauft wurde. Und zwar, indem viel Geld für wenig Gewinn riskiert wurde. Ein profitabler Richtungstrading-Ansatz besteht aus einer guten Mischung von potentem Einstiegszeitpunkt, angemessenem ISL und einem ausbalanciertem Trailingstop. Obendrauf natürlich noch ein cleveres Anti-Martingale Money-Management. Es ist schwierig, so etwas einem Computer – in Form von starrem Programmcode – zufriedenstellend beizubringen. Oft sind die einfachsten Ansätze die besten. Zu simpel kann jedoch auch nach hinten losgehen.